Mitternachtsvorstellung

Geisterstunde. In meinem Kopf murmeln und flüstern wieder einmal ganz viele Stimmen. Und sie sind alle deine.

Ich weiß nicht, was ihr noch angestellt habt nach dem Film heute abend. Oder beim Film. Aber diese eine andere Stimme in meinem Kopf sagt mir gerade, daß das Schicksal ein Arschloch ist und das ich es sehr hassen sollte. Was ich tue, denn es ist meine Stimme, die das sagt. Ich weiß genau, was ich noch mit dir getan hätte an so einem Abend. Meine Vorstellung ist da gnadenlos.

Wie du gemeinsam mit mir auf dem Sofa liegst und deinen Kopf auf meine Brust gelegt hast. Wie mein Arm um dich liegt und ich nicht aufhören kann damit anzufangen, dich immer wieder zu streicheln. Die warme Haut deines Halses, deines Nackens, deiner Arme unter meinen Fingerspitzen, meinen Händen. Die Querlinien deiner Narben an deinem linken Unterarm. Für die du dich immer so schämst, wenn ich sie berühre.
Wie du mir näher kommst und versuchst, in mich hineinzukriechen. Weil du dich verstecken willst, während ich deinen Arm an meine Lippen ziehe. Ich berühre diese Narben, diese Spuren deines Schmerzes und küsse sie. Sanft. Ganz leicht. Dein Kopf zittert an meiner Brust. Du schämst dich. Ich nage leicht an deinem Handgelenk und streichle deinen Kopf. Du atmest tiefer. Es ist demütigend für dich. Denn jede Narbe ist ein Schnitt und jeder Schnitt ist ein Symbol des Versagens für dich.

Aber es ist nicht nur das. Es ist eine Geste allergrößten Vertrauens zu mir und ich weiß das. Das habe ich gelernt von dir.
Du fängst an, dich auf dem Sofa zu bewegen. Von mir weg. „Mich muß man immer einfangen im Bett“, hast du einmal über dich gesagt.
Ich lasse dich erst gar nicht weg, drücke dich gegen meinen Oberschenkel. Du bewegst dich mir entgegen. Du willst weglaufen, wie immer. Aber es macht dich auch heiß. Sehr heiß. Ich kann an meinem Bein fühlen, wie es langsam aus dir herausfließt. Dieser schwere, großartige Geruch steigt auf. Dieser unglaubliche Duft nach dir.
Endlich einmal gibst du schließlich ein Signal von deiner Seite aus, das ich dir beigebracht habe. Deine Zähne an meinen Brustwarzen. Knabbernd. Zubeißend. Fordernd. Eine Möglichkeit, dich mitzuteilen, ohne mir etwas sagen zu müssen. Denn das ist für dich eine schwierige Übung. Alles an dir will jetzt mehr. Von allem.

Wie gern ich dir beigebracht hätte, solche Dinge zu tun. Wie sehr ich gewünscht habe, von dir zu lernen. Dich zu lernen. Dich zu lehren, über dich hinauszuwachsen. Mehr zu sein als ein seelenloses Ausstellungsstück. Die Initiative zu ergreifen. Wie mich diese Phantasie immer wieder quält.

Ich liebe dich so sehr, daß es mir weh tut. Immer wieder. Keine Narben. Nicht für mich. Für mich immer nur neues Blut. Du bist der Schmerz für mich, den ich nicht enden lassen will. Den ich nicht enden lassen kann. Denn wenn er das tut, falle ich endgültig über den Klippenrand. Es ist besser, das Seil aus Stacheldraht fest umklammert zu halten. Kräftig zuzugreifen.

Mir wird schlecht von den Bildern, die meine dunkle Seite mir zeigt. Von dir und ihm. Wie er mit dir all die Dinge tut und tun wird, die mir gehören sollten. So wie du. All diese Momente und Augenblicke, die er bekommt und für die ich ihn hasse.
Wie ich mich selber auslache in mir, ist so unerträglich zynisch. Mir selber gegenüber ohne Mitleid, spielt mein Kopfkino immer wieder dieselben Szenen ab, schmückt sie weiter aus. Dieses Dunkle, Wilde, Hemmungslose, das sich da in mir selbst befindet, räkelt sich genüßlich im Kinosessel.

Daneben sitzt mein anderer Teil und starrt auf die Leinwand und kann den Kopf nicht wegdrehen. Jede einzelne Szene zersplittert mich, feinster Glasstaub reibt über meine Sehnerven. Ich kann mich schreien hören in meinem Inneren. Das dunkle, brodelnde, bittere Etwas in mir lacht und möchte die nächste Episode abspielen. Die Dinge, die ihr tut und die ich mit dir nicht getan hätte. Nacktes knien im Flur. Sklavenrituale. Du gehörst niemandem. Nur dir. Trotzdem will ich dich haben. Einmal in meinem Leben will ich jemanden für mich.

Du bist die Klinge an meinem Hals. Mein Schneiden, um zu spüren, daß man noch da ist. Dieser endlose, in Watte schwebende Moment, wenn man nur die Wahl hat zwischen Nichts und dem Bestätigen der eigenen Existenz durch Blut und Stahl.
Du bist es, die mich vom Nichts trennt, in dem ich mich schon fast häuslich eingerichtet hatte. Ich werde dir immer dankbar sein dafür, daß du diese verdammte Schale um mich herum zerbrochen hast. Vielleicht habe ich sie auch zerbrochen. Aber dann nur, weil du plötzlich draußen gestanden hast und sagtest „Komm zu mir“. Dieser wunderbare Sirenengesang.

Mein Gefühl für dich sollte schwächer werden. Manchmal sollte ich vergessen, wie du dich angefühlt hast neben mir. Für eine Sekunde sollte ich den Geruch deiner Haare nicht vermissen. Wie sie leise geknistert haben auf dem Kopfkissen. Wie sie sich bewegt haben unter meinem Atem. Wie Flaumfedern.
Diese Momente, in denen ich so unsagbar glücklich ich war, wenn du gelächelt hast über etwas, das ich sagte. Wie sich deine Augen bewegt haben, während du neben mir träumtest. Sie sollten weniger deutlich werden, diese Bilder aus diesen armseligen paar Stunden mit dir.

Nichts davon passiert. Jede Sekunde mit dir hat sich in meine Seele eingebrannt wie noch nichts zuvor in meinem Leben. Ich verstehe noch immer nicht, warum es so ist. Warum es mir unmöglich ist, dich aus meinem Geist zu vertreiben. Doch ich weiß, daß es so ist. Du bist immer da. Du warst vom ersten Moment an da, in dem ich dich traf. Niemals verschwindest du ganz. Nichts bringt das Licht deiner Augen zum Verblassen und deinen Klang zum Verstummen.

Was auch immer geschieht – ich werde dich erst an dem Tag wirklich verlassen, an dem ich sterbe. Nichts wird mich jemals vollständig von dir heilen. Du warst mein Wunder. Du bist noch immer mein Wunder. Jetzt und für immer.

 

 

Das Beitragsbild ist von Christian Hopkins. Den Künstler findet man auf Facebook unter diesem Link.

2 Gedanken zu “Mitternachtsvorstellung

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